Hilfe für Kinder in Krisensituationen

Die Eltern sind zerstritten. Wer bekommt das Sorgerecht? In Deutschland bekommt das Kind in diesem Fall einen Verfahrensbeistand und in der Schweiz eine Kindesvertreterin.

Die Grundlage für die Unterstützung und Vertretung für Kinder und Jugendliche in behördlichen und gerichtlichen Verfahren ist in internationalen Übereinkommen geregelt, so zum Beispiel in der UN-Kinderrechtskonvention (UNKRK). Das Recht des Kindes auf Beteiligung und Gehör ist dabei von zentraler Bedeutung. Die Vorschrift soll daher im Wortlaut zitiert werden:

«(1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äussern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und Reife.

(2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- und Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.»

Sowohl im deutschen als auch im Schweizer Recht sind diese Forderungen in nationales Recht umgesetzt worden. Insbesondere seien hier im schweizerischen Recht Art. 314a (bis) ZGB als Regelung für die Kinderschutzbehörde (KESB) und Art. 299 f ZPO (Vertretung in eherechtlichen Verfahren) genannt. Im deutschen Recht ergibt sich die Vertretung von Kindern im gerichtlichen Verfahren bundeseinheitlich aus §§ 158 und 158a FamFG. Kindesvertreterinnen können verschiedenen Professionen angehören, meist sind es Pädagoginnen, Psychologen und Anwältinnen.

In der nationalen Umsetzung wird ein grosser Unterschied deutlich: Ist das Kindeswohl gefährdet, ist in Deutschland zunächst das Jugendamt zuständig und kann als Beteiligter ein Verfahren bei Gericht wegen Kindeswohlgefährdung einleiten. In der Schweiz sind Angelegenheiten des Kindesschutzes zunächst bei der kantonalen Kinderschutzbehörde (KESB) angesiedelt, die das ganze Verfahren bis zur Entscheidung durchführt. Seit 2013 wurden vom Bund Mindestanforderungen formuliert. Es darf sich nicht um Laienbehörden handeln. Bei Angelegenheiten besonderer Relevanz, z.B. einer Fremdplatzierung ist eine Dreierbesetzung erforderlich. Eine gerichtliche Beteiligung ist in der Schweiz nur vorgesehen, wenn Kindesschutzfragen im Rahmen eines Scheidungsverfahrens auftauchen.

Wenn sich Eltern in Fragen des Umgangs- und Sorgerechts oder den Aufenthalt einig sind, muss kein Kindervertreter bestellt werden. Wenn sie allerdings über Kindesbelange streiten, sei es in einem Verfahren vor Gericht oder in der Schweiz auch in einem Verfahren vor der KESB, wird eine Kindesvertretung eingesetzt. Die Kindesvertreterinnen in beiden Ländern sind unabhängig und gleichberechtigt im Verfahren beteiligt.

Die Aufgaben sind in beiden Ländern identisch: Die Kindesvertreter unterstützen Kinder und Jugendliche dabei, sich gleichberechtigt am Verfahren beteiligen zu können. Sie informieren das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in altersgemässer Art und Weise. Der besondere Fokus liegt darauf, den authentischen Willen des Kindes festzustellen und diesen in das Verfahren einzubringen. Aber auch bei Manipulation durch die Eltern muss der Wille des Kindes ernst genommen werden. Gerade in hochstrittigen Fällen muss auch abgewogen werden, ob der Kindeswille auch dem Wohl des Kindes entspricht.

Dem Kindesvertreter kommt dabei eine wichtige Rolle zu: Er ist der Einzige, der völlig unabhängig von Eltern und Behörde die Interessen des Kindes vertreten kann. Die Kindesvertreterin kann dabei helfen, Loyalitätskonflikte der Kinder zu verringern. Ihre Arbeit erhöht das Gefühl der Selbstwirksamkeit und fördert Resilienzen.

In Deutschland kann die Bestellung eines Verfahrensbeistandes nicht angefochten werden, und er kann auch im weiteren Verfahren nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden. Gleichzeitig haben die Kindesvertreter in beiden Ländern die vollen Rechte der Antragstellung. Sie können Rechtsmittel einlegen, und ihre Zustimmung ist bei Vergleichen in den meisten der Verfahren erforderlich. Sie besitzen dadurch eine grosse prozessuale Freiheit.

In Deutschland sind die fachlichen Anforderungen gesetzlich neu geregelt worden. Nun braucht es bestimmte Qualifikationen und ein erweitertes Führungszeugnis. In der Schweiz gibt es konkrete Forderungen, Qualitätsvoraussetzungen zu formulieren.

Meine Arbeit bringt die Auseinandersetzung mit teilweise schwer belasteten Kindern und Jugendlichen und schwierigen Umständen mit sich. Sie ist gleichwohl unglaublich bereichernd!

Dr. Anja Heise-Kintzen, Rechtsanwältin (D), Zertifizierter Verfahrensbeistand (BVEB)

Aus der Schweizer Revue 2/2022; Foto: Helmut Uwer

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