Berlin: 180 Jahre Hilfe für Landsleute

Berlin: Brennholz und Kleider – 180 Jahre Hilfe für Landsleute

 
Sie ist die älteste Schweizer Vereinigung in Deutschland. Vor 180 Jahren wurde die Schweizerische Wohltätigkeitsgesellschaft Berlin gegründet.
 
Im Jahr 1844 hatte eine Rezession ganz Europa erfasst. Die Folgen für Berlin: Ein Viertel der Bevölkerung wurde in Armut gestürzt. Eine extreme Wohnungsnot herrschte. Grosse Familien lebten in einem Zimmer auf engstem Raum. Tagsüber wurden Wohnungen an Nachtschichtarbeiter untervermietet, die ins noch warme Bett des Vorgängers schlüpften. Um Landsleute in dieser Situation unterstützen zu können, gründeten Pastor Jean François Daniel Andrié (1792-1866) und ein paar Neuenburger Compatriotes die Wohltätigkeitsgesellschaft. Andrié stammte aus Le Locle. Als das preussische Königspaar 1842 sein Fürstentum Neuenburg besuchte, hatte Andrié die Ehre, König Friedrich Wilhelm IV. und dessen Gattin Elisabeth in seinem Gotteshaus zu begrüssen. Zwischen Monarch und dem Pastor schien die Chemie zu stimmen; denn kurz danach packte Andrié seine Koffer und zog nach Berlin. Vermutlich durch die Vermittlung des preussischen Königs wechselte er vom «Temple du Locle» an den «Temple de Berlin», wie die Hugenotten damals ihre Friedrichstadtkirche nannten.
Wie wurde den Menschen geholfen?
Im April 1890 listete der Berner Bund die Hilfeleistungen auf: 125 Franken für die Verteilung von Brennholz, 383.32 Franken für Heimbeförderungen, 832 Franken zur Unterstützung von Durchreisenden, 170.87 Franken für Kleider für Durchreisende und 1605.82 Franken für nicht näher benannte, verschiedene Unterstützungen.
 
Woher kam das Geld?
Zum einen aus den Mitgliederbeiträgen und zum anderen aus Spenden betuchter Schweizer. Auch die Eidgenossenschaft trug ihr Scherflein dazu bei. Der «Bund» zitierte am 30. April 1863 aus einem Bericht des Eidgenössischen Departement des Inneren: Der Bund hatte insgesamt 8000 Franken für die 23 in der ganzen Welt agierenden Schweizer Hilfsvereine zur Verfügung. Die Wohltätigkeitsgesellschaft in Berlin erhielt 709 Franken und 69 Rappen. Dazu kam ein ordentlicher Kredit von 100 Franken. Voraussetzung für den Geldsegen war ein rechtzeitig eingesandter Rechenschaftsbericht über die Verwendung der Zuwendungen im Vorjahr. Aber auch Kantone und Gemeinden und deren Armenbehörden sandten Geld nach Berlin: Im Kriegsjahr 1916 kamen aus dieser Quelle immerhin 1700 Franken.
 
Die Zusammenarbeit mit der Schweizer Gesandtschaft war lange Jahre sehr erspriesslich. Früher waren die Gesandten auch immer Ehrenvorsitzende. Der Gesandte Hermann Rüfenacht rief im Jahr 1929 für die Wohltätigkeitsgesellschaft eine Stiftung von 30.000 Franken ins Leben. Er selbst hatte in der Schweiz dafür Gelder gesammelt, die der vermögende Berner grosszügig aufstockte.
Minister Hans Frölicher, der umstrittenste Diplomat auf diesem Posten, rettete sogar die Gesellschaft. Als 1945 alle Vorstandsmitglieder in die Schweiz geflohen waren, kam die Vereinstätigkeit zum Erliegen. Frölicher verfasste ein eindringliches Plädoyer für den Erhalt der Gesellschaft. Es umfasst immerhin neun Seiten. Schon 1946 wurde in Zusammenarbeit mit der Schweizer Heimschaffungsdelegation wieder fleissig Nahrung verteilt.
 
In Kriegszeiten und den darauffolgenden Hungerjahren, während der Hyperinflation und der Weltwirtschaftkrise – in diesen Zeiten war die Wohltätigkeitsgesellschaft besonders gefragt. Heute ist das deutsche Sozialsystem sehr ausgereift. Wirklich bedürftige Menschen gibt es kaum noch. Deshalb hat sich die Wohltätigkeitsgesellschaft umorientiert und veranstaltet jährlich je einen Sommerausflug und eine Weihnachtsfeier für Schweizer Senioren und Seniorinnen. Dafür schreibt sie jeweils rund 1.000 über 65-Jährige aus dem Grossraum Berlin an und lädt zu einem Sommerausflug und zu einer Adventsfeier ein. Am Sommerausflug beteiligten sich in der Regel ca. 120, an der Adventsfeier achtzig Senioren. Das Ziel dieser Einladungen ist es, den Mitgliederstamm zu erweitern und die Schweizer untereinander zu vernetzen.
Die Schweizer Senioren und Seniorinnen dürfen am 10. Juli das Jubiläum der Gesellschaft in der Residenz der Schweizer Botschafterin Livia Leu feiern.
 
Aus der Schweizer Revue 2/2024
Text: Monika Uwer-Zürcher
Bilder: Helmut Uwer, Monika Uwer-Zürcher
 
(Text zum Vorstandsbild, wenn es geht:) Sie organisieren jährlich zwei Veranstaltungen für Rentner in Berlin und Umgebung (v.l.): Vizepräsidentin Monika Uwer-Zürcher, Präsident Jörg Luchtenberg-Dickhoff, Lissi Schiavone, Manfred Wettler, Trudy Brun-Walz, Jasmin Schlögl und Kassier Hans Huser

Zurück